Der Wolf ist nicht unser Feind und Jagd auf ihn der falsche Ansatz

Ein Wolf liegt auf einem Stück Waldboden, welches mit Herbstlaub bedeckt ist. Er liegt bequem, fast wie ein Hund, mit erhobenem Kopf. Seine Körpersprache ist ruhig und entspannt. Er leckt sich mit der Zunge die Zähne.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) vermeldete am Montag (14. Juli 2025), dass der Wolf ab diesem Tag endgültig seinen hohen Schutzstatus verloren hat. Bereits im Mai diesen Jahres stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg im Eilverfahren dafür, den Status des Wolfes von „streng geschützt“ auf „geschützt“ abzusenken. Das bedeutet unter anderem, dass die Hürde für den Abschuss kleiner wird.

Die einzelnen EU-Staaten sind dann am Zuge, diese Änderung in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) in eigenes, geltendes Recht zu überführen. In Deutschland wären dafür Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz und gegebenenfalls im Bundesjagdgesetz notwendig. In ihrem Koalitionsvertrag hielt die aktuelle Schwarz-Rote Regierung fest, eine Änderung in der FFH-Richtlinie „unverzüglich in nationales Recht“ umsetzen und den Wolf „umgehend ins Jagdrecht“ aufnehmen zu wollen.

Vor allem die Mitglieder der konservativen Parteien haben mehrheitlich für die Herabsenkung des Schutzstatus gestimmt, wie aus der Übersicht zur namentlichen Abstimmung ersichtlich ist. Das ist insoweit nicht überraschend, als dass die konservativen Fraktionen wie EVP, EKR, PfE und ESN traditionell pro konventioneller Agrarwirtschaft und gegen Natur- und Klimaschutz stimmen, sei es bei Renaturierungsmaßnahmen, Pestizideinsatz oder jetzt eben dem Wolfsschutz. Bereits im Wahlprogramm der EVP (bzw. der ihr zugehörigen nationalen Parteien) zur Europawahl 2024 beschwor diese eine „zunehmende Bedrohung“ durch Großräuber wie Wolf und Bär herauf. Aber wen bedroht der Wolf eigentlich?

Die Mär vom großen bösen Wolf

Der Wolf ist in Europa und erst Recht hier in Deutschland in erster Linie eine Gefahr für Weidetiere. Laut tagesschau.de kamen im Jahr 2023 durch den Wolf 5.727 Tiere zu Schaden, der Großteil davon Schafe. Und das trotz eines Wolfsmanagements, welches jetzt durch gezielte Bejagung von „Problemwölfen“ erweitert werden darf. Das Wolfsmanagement umfasst das Monitoring der Populationen, Schutzmaßnahmen für Haustiere in den entsprechenden Gebieten (zum Beispiel in Bezug auf Hauskatzen, die Freigänger sind) – und die Regelung von Ausgleichszahlungen.

Denn die Landwirt:innen sind beim Schutz ihrer Tiere vor dem Wolf nicht auf sich allein gestellt. In Nordrhein-Westfalen ist es zum Beispiel die Landwirtschaftskammer, die eine ausführliche Beratung und Unterstützung anbietet. In einer ersten Stufe können Herdenschutzsets mit Elektrozaun, Weidezaungerät und Fotofalle bei begründeten Verdachtsfällen unentgeltlich ausgeliehen werden. Fortführend können Halter:innen von Schafen, Ziegen, Rindern, Gehegewild und Pferden (privat wie gewerblich) Förderungen für unterschiedliche Herdenschutzzäune und Herdenschutzhunde erhalten. Eine Übersicht stellt die Landwirtschaftskammer hier bereit. Dies ist jetzt nur am Beispiel NRW, auch in anderen Bundesländern, in denen der Wolf Zuhause ist, gibt es solche Angebote.

Die Zahl der „wolfverursachten Nutztierschäden“ ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Vor allem Ziegen und Schafe fallen dem Wolf zum Opfer, weil ihr Fluchtverhalten geringer als bei Gehegewild, Rindern oder Pferden ist. Wenn Wölfe ein paar Mal auf nicht ausreichend geschützte Schaf- oder Ziegenherden treffen, lernen sie, dass sie hier leicht Beute machen können. Ein einfacher Elektrozaun mit mindestens 90 Zentimetern Höhe signalisiert dem Wolf schon: Uh, hier werd ichs nicht leicht haben, ich geh besser weiter. Wie abschreckend schon einfache präventive Maßnahmen sein können, zeigt das Beispiel dieses Schäfers.

Um die eingangs genannte Zahl mal etwas in Relation zu setzen:

  • Von den 5.727 in Deutschland vermeintlich durch den Wolf z.T. tödlich verletzen Tiere waren etwa 90 Prozent Schafe oder Ziegen.
    (Vermeintlich, weil es Initiativen gibt, die vermuten, dass nicht alle Landwirt:innen so ehrlich sind mit den Angaben zur Todesursache der Tiere.)
  • Viel mehr Nutztiere sterben durch Krankheiten, Parasiten, Verwahrlosung oder ähnliches. Hier an offizielle Zahlen in Deutschland zu kommen, ist schwierig. Zur Referenz eine Angabe aus den Niederlanden: Im Jahr 2023 sind dort 50.000 Schafe an der Blauzungenkrankheit gestorben; fünf Prozent des gesamten Bestandes. Seit Oktober 2023 verbreitet sich die Blauzungenkrankheit auch in Deutschland. Ein Aufschrei bleibt aus.
  • Ein weiterer Vergleich, diesmal aus der Schweiz. Auch hier gibt es seit Beginn dieses Jahrtausends wieder Wölfe, nachdem sie jahrzehntelang vollständig ausgerottet waren. Eine Untersuchung für das Jahr 2023 zeigte: Wolfsrisse machen in der Schweiz weniger als zwei Prozent aller toten Schafe aus. Berücksichtigt man auch die geschlachteten Tiere, sind die Wölfe dort für weniger als 0,5 Prozent aller getöteter Schafe verantwortlich.

Der letzte freie Wolf in Deutschland wurde 1904 erschossen. Danach einwandernde Wölfe wurden bis zur Wiedervereinigung sowohl in der BRD als auch DDR ebenfalls erschossen. Erst das wiedervereinigte Deutschland schrieb sich den Wolfsschutz auf die Agenda. Seit dem Jahr 2000 steigt die Population der Wölfe wieder langsam an. Was allerdings nicht steigt, ist die Bereitschaft von vielen Tierhalter:innen, die Art und Weise ihrer Tierhaltung an die sich verändernden Umweltbedingungen anzupassen, trotz bezuschussten Präventionsmaßnahmen. So wird der „plötzlich“ zurückkehrende Wolf zu einem „Problemwolf“ – der bitte bloß nicht den Status quo zu stören hat. Und so wird er als Gefahr aufgebauscht und Angst geschürt.

Ist der Wolf eine Gefahr für Menschen in Deutschland?

Die kurze Antwort: Nein, der Wolf ist für den Menschen hier keine Gefahr. Wölfe nehmen den Menschen nicht als Beute war, große wie kleine. Wölfe in Deutschland würden nie einfach so Kinder angreifen, wenn sie auf der Straße, am Waldrand oder auch im Wald spielen. Auch Hunde, die mit ihren Haltern im Wald an der Leine unterwegs sind, sind nicht in Gefahr. Schilder, die etwas anderes suggerieren (wie zum Beispiel in Brandenburg) sind Panikmache. Auch, wenn sie zur Abschreckung oder zur Einhaltung der Leinenpflicht dienen sollen, machen sie das auf Kosten des Wolfes. Der würde sich allerdings längst verkrümeln, wenn er Menschen am Tage im Wald hört. Einen Menschen einfach so unprovoziert anzugreifen, alleine oder im Rudel, liegt nicht in seiner Natur – auch wenn die Schilder das unterstellen wollen.

Seitdem der Wolf wieder in Deutschland ansässig ist, gab es hierzulande keinen einzigen Angriff auf Menschen oder auch nur eine negativ auffällige Begegnung mit einem Wolf. Das hat eine Auswertung des „Norwegian Institute for Nature Research“ (NINA) ergeben. Dafür hat das Team die Daten zu Angriffen von Wölfen auf der ganzen Welt im zwischen 2002 und 2020 ausgewertet. Auch in anderen Staaten Europas, in denen der Wolf zuhause ist, gab es so gut wie keine Vorkomnisse (Ausnahmen: in Italien, Kosovo, Nord-Mazedonien und Kroatien jeweils ein Vorfall; Polen zwei Vorfälle).

Die Vorfälle auf europäischem Boden tragen die Gemeinsamkeit, dass der Wolf meist zutraulich war bzw. aus unterschiedlichen Gründen die Nähe zum Menschen suchte. In einem Fall wurde der entsprechende Wolf augenscheinlich bereits länger gefüttert. In einem anderen drängte ein Schäfer den Wolf in die Enge und griff ihn an, vermutlich um seine Schafe zu verteidigen. Andere Fälle berichten von Erkrankungen wie z.B. Tollwut oder einer nachgewiesenen Verwandtschaft zu Hunden, welche die Zutraulichkeit erklärte. Deutschland gilt laut dem Robert-Koch-Institut seit 2008 als frei von Tollwut.

Was tun, wenn ich einem Wolf begegne?

Der Wolf wird hierzulande immer zutraulicher, das stimmt. Deutschlandweit sehen immer öfter Menschen einzelne Tiere am Rande oder auch in einer Siedlung. In diesen Fällen sind die Wölfe, meist Einzeltiere, auf Durchreise durch ihr Streifrevier. Wie groß das ist, ist sehr unterschiedlich, und abhängig vom Nahrungsangebot. Im Schnitt umfasst es laut Angaben des Naturschutzbund Deutschland (NABU) etwa 200 bis 300 Quadratkilometer (qkm). Zum Vergleich: Das entspricht zum Beispiel etwa jeweils der flächenmäßigen Größe von Dortmund (280 qkm), Düsseldorf (217 qkm), Frankfurt a. M. (248 qkm), Bielefeld 258 (qkm) oder Magdeburg (201 qkm). Das letzte Wolf-Monitoring von 2023/24 erfasste laut Bundesamt für Naturschutz 209 Wolfsrudel, 46 Paare und 19 sesshafte Einzeltiere in Deutschland. Die Chance, einem einzelnen Wolf oder auch einem Rudel innerhalb ihres Revieres zu begegenen, ist also relativ gering.

Solltest Du doch einem Wolf begegnen, kannst Du Dich an diese Tipps halten, die der NABU empfielt:

Beobachten Sie das Tier ruhig. Lassen Sie ihm genug Raum, damit es sich zurück ziehen kann. Wenn Sie sich unwohl fühlen, richten Sie sich auf und machen Sie sich groß. Lautes, energisches Rufen oder Klatschen kann den Wolf vertreiben. Laufen oder fahren Sie einem Wolf nicht hinterher, versuchen Sie niemals, in anzulocken oder zu füttern. Wenn möglich, machen Sie aus der Distanz Fotos.

In Kürze: Wer das Tier in Ruhe lässt, den lässt auch das Tier in Ruhe. Dazu gehört übrigens auch, beim Waldspaziergang den eigenen Hund an der Leine zu lassen. Denn einen im Unterholz schnüffelnden Hund kann der Wolf sehr wohl als Bedrohung ansehen – und sich im Zweifelsfall dagegen wehren. Aber nicht nur zum Schutz des Hundes sollte er im Wald angeleint bleiben, auch andere Wildtiere wie Rehe, Hirsche, Hasen, Wildschweine und Co. fühlen sich von Hunden gestört; nicht nur während der Brut- und Setzzeit, auf die ich schon in diesem Beitrag eingehe.

Fazit: Was machen mit dem Wolf?

Ich vertrete grundsätzlich die Ansicht: Leben und Leben lassen; sowohl beim Mensch, als auch beim Tier. Wir haben dem Wolf seinen Lebensraum genommen und mit Siedlungen und Städten zerschnitten, und er geht jetzt so gut wie möglich damit um. Der Wolf war bereits hier, als Menschen noch überhaupt nicht sesshaft waren. Er arrangiert sich mit der Platzknappheit und nimmt sich, was ihm angeboten wird – wozu auch kaum oder gar nicht geschütze Nutztiere zählen.

Effektiver Herdenschutz kann dabei helfen, dass sich der Wolf wieder auf sein eigentliches Jagdziel konzentriert: die ohnehin zu großen Reh- und Rotwild-Populationen in deutschen Wäldern. Den Wolf zu schützen bedeutet eine Unterstützung der existierenden ökologischen Abhängigkeiten und damit auch Waldschutz. Wer den Wald in all seiner biologischen Vielfalt in Deutschland erhalten, wer ihm vielleicht sogar dabei helfen will, sich nachhaltig und klimastabil zu entwickeln – der muss die Existenz von großen Beutegreifern wie dem Wolf unterstützen.

Und das bitte ganz ohne Panikmache, Polemik und Populismus.


PS: Es gäbe zu diesem Thema noch so viel mehr zu sagen und zu beleuchten; gerade auch zum Beispiel die Rolle von Politiker:innen und Medien, welche ebenfalls die Mär des bösen Wolfs weiter verbreiten. Ich habe versucht, mich hier vorerst auf die zentralsten Punkte zu konzentieren.