Sich vom Wind tragen lassen

Eine Möwe fliegt unter einem blauen Himmel entlang, der teilweise von weißen Schleierwolken verdeckt wird. Die Möwe ist von unten zu sehen.

Ich habe meine Ausbildung zur Naturmentorin bei Wildniswind abgeschlossen – endlich! Es ist schon bald einen Monat her, dass ich meine Unterlagen eingereicht und die Rückmeldung bekommen habe. Jetzt möchte ich euch erzählen, wie ich die Fortbildung erlebt habe, wie meine Erfahrungen mit Wildniswind waren, und wie es jetzt nach der Fortbildung weitergeht.

Am Anfang war … Wildniswind

Wie ich ja schon im meinem Vorstellungsbeitrag erwähnt habe, habe ich die Fortbildung zur Naturmentorin bei Wildniswind damals in erster Linie für mich angefangen. Das war im Frühjahr 2022. Ich habe in Vollzeit gearbeitet, 100 Prozent Homeoffice, oft mit langen Tagen, die ich nur am Schreibtisch zugebracht habe. Ja, man geht mal zwischendurch in die Küche, aufs Klo, macht die Wäsche, sowas. Aber auch dabei verbringt man die meiste Zeit drinnen. Ich wollte mir mit der Fortbildung selbst ein Geschenk machen. Mehr Zeit in der Natur verbringen, dabei noch etwas lernen, sich vielleicht auch mit anderen naturverbundenen Menschen vernetzen – das klang sehr verlockend. (Wie ich auf Wildniswind gestoßen bin, ist eine längere, komplizierte Geschichte. Die Kurzform ist: durch Social Media, genauer Instagram.)

Schnell war aber klar, dass ich mit dem zügigen Tempo der Fortbildung nicht mithalten können würde. Jede Woche eine neue Art, die es zu entdecken und beobachten galt, puh! Für die letztendliche Zertifizierung (die ich da noch gar nicht im Kopf hatte), müssen die Lehrlinge zwar nur 20 Arten ausführlich studieren und dokumentieren. Mir wuchs das aber trotzdem irgendwann über den Kopf. Auch, weil ich das Gefühl hatte: Ich mache Sachen „nicht richtig“. Ich „erlebe die Natur nicht richtig“ oder ich „könnte doch noch viel mehr / besser etwas zu der Art“ machen. Dass ich mir damit selbst im Weg stand, sollte ich da noch nicht wissen.

An eigenen Anforderungen zerbrechen

Denn von Miriams (Mi) und Paulas Seite, die den Kurs leiten, wurde nie etwas dergleichen erwartet. Die Fortbildung ist sehr offen, annehmend und kreativ gestaltend aufgebaut, sodass jeder mit dem Fleckchen Natur arbeiten kann, den sie oder er vor sich hat: Dem eigenen Garten, Park oder Stadtwald. Es gibt keinen Zeitdruck, das heißt man muss nicht nach dem einem Jahr fertig sein, die der Kurs lang ist. Die Bewertung der Ausarbeitungen erfolgt individuell und nicht nach einem festgesetzten Raster oder Anforderungskatalog.

Und das war mitunter eins meiner größten Probleme mit der Fortbildung. Denn aus Schule und Uni war ich es gewohnt, dass es für alles feste Bewertungskriterien und vor allem feste Zeitrahmen gibt. Fehlt das, gibt es keine Motivation, einen guten Job zu machen. … oder? Für mich war es schwer, die innere Motivation zu finden, etwas zu Lernen und Zeit in etwas zu investieren, wenn es keinen „richtigen Grund“ dafür gibt. Das kollidierte fatal mit einem Versprechen, dass ich mir im Vorfeld selbst gegeben hatte, nämlich: Ich mache diese Fortbildung für mich, und nicht, um damit später Geld zu verdienen. Ich wollte nicht (noch) ein Hobby bzw. Interesse monetarisieren. Ich verkürze meinen inneren Prozess dazu jetzt stark, weil da auch viele private Faktoren der letzten zwei Jahre mit reinspielen. In der Essenz kann ich sagen: Irgendwann war der Knoten geplatzt und ich konnte mich frei auf die Inhalte einlassen. Geholfen haben dabei auch klärende, einordnende Gespräche mit Mi und Paula, per E-Mail und persönlich. Die beiden waren für die gesamte Zeit immer ansprechbar und auch nahbar, obwohl es ja ein reiner Online-Kurs ist.

Was ich gelernt habe

Die Fortbildung zur Naturmentorin bei Wildniswind hat mir so einige Erfahrungen und wichtige Lektionen mitgegeben. Neben neuem Wissen über Tier- und Pflanzenarten in meiner Umgebung wurde natürlich auch altes Wissen aufgefrischt. Ich bin ja nicht bei Null angefangen; eine grundsätzliche Begeisterung für die Natur (und vielleicht auch schon ein bisschen grundlegendes Vorwissen) sind als Ausgangspunkt sicher nicht verkehrt. Was ich sonst noch gelernt habe:

  • Mit dem Flow gehen, sich bildlich vom Wind tragen lassen. Jeder Lehrling hat eine andere Herangehensweise an die zu behandelnden Arten; alleine ja schon dadurch, dass jeder einen anderen oder mehrere unterschiedliche Flecken Natur als Forschungsgebiet hat. Jeder bringt anderes Vorwissen, Begabungen oder Interessenschwerpunkte mit und entwickelt sich daraufhin weiter.
  • So habe ich das in der Fortbildung obligatorische Wandering (zielloses Umherstreifen) für mich dahingehend abgewandelt, als dass ich immer meine Kamera mitgenommen habe. Der Blick durch die Linse verschaffte mir nochmal eine andere Sicht auf meine Umgebung – und machte mir das „sich treiben lassen“ deutlich leichter. Ich habe gelernt, Aufgaben im Rahmen anzupassen und einen Kompromiss innerhalb meiner Fähigkeiten zu finden.
Eine Spiegelreflexkamera liegt auf einer Bank aus Holz (rechts). Links neben ihr liegt ein Federmäppchen, dass mit vielen bunten Blumen bedruckt ist. Schräg darunter liegt ein Block aus Papier, der  eine skizzierte Karte zeigt.
  • Daran anknüpfend: Ich kann jetzt besser erkennen, was meine persönlichen Stärken und Vorlieben in Bezug aufs Lernen sind und wie ich sie am besten einsetze – statt mich daran aufzuhängen, was ich nicht gut kann. Ich kann mir zum Beispiel sehr schlecht Bezeichnungen oder ganz spezifische Wörter merken, noch schlechter bin ich nur im Auswendiglernen. Als meinen ganz persönlichen Triebfaktor habe ich dafür eine unersättliche Neugierde ausgemacht, angeführt von der klassischen Kinderfrage „Warum?“. Nur, dass ich die mit dem Wissen und den Möglichkeiten, die ich heute habe, viel besser und ausführlicher beantworten kann. Und siehe da: Wenn ich die Freiheit habe, mich stundenlang an Details aufzuhängen und sie bis ins Kleinste zu erforschen, bis ich irgendwann das „Warum?“ begriffen habe, kann ich mir auch viel besser merken, was ich da eigentlich lerne.
  • … und das Wissen auch viel besser wieder hervorholen. Die meisten dieser unfreiwilligen „Referate“ bekommt mein Mann ab, wenn wir gemeinsam draußen unterwegs sind. Ich entdecke etwas, die entsprechende mentale Schublade geht auf, und ich kann ihm genau erklären, warum zum Beispiel der Kopf des Gänseblümchens der Sonne folgt und warum es die Blätter seiner Scheinblüten abends schließt. Und da ich es ihm an einem sichtbaren, ertastbaren, erriechbaren Beispiel zeigen kann, kann auch er es sich besser merken.
  • Das „Selbst erleben“ hat eine wahnsinnige Kraft und Wirkung. Mir ist bewusst, dass sich diese Lehrmethode (in diesem Fall das sogenannte Coyote Teaching) nicht flächendeckend anwenden lässt, auch wegen der Komplexität vieler Inhalte. Aber gerade die Natur ist ein Ort, wo das eigene Erleben so viel ausmacht und in meinen Augen dringend notwendig (!) ist, um seinen eigenen Platz, aber auch Wert, in der Welt zu begreifen.

Und nu?

Ich sprach zuvor ein Versprechen an, das ich mir selbst vor einiger Zeit gegeben habe: Ich möchte nicht (mehr) Hobbys zu Geldquellen machen. Wer das machen möchte, den halte ich nicht ab – aber ich persönlich habe mir damit lange Zeit eher etwas kaputt gemacht. Denn wenn jeder Gedanke nur dahin geht, wie ich eine Fähigkeit bestmöglich monetarisieren kann, verliert sie für mich ihre Erholungsfunktion. Auch das Erleben der und sein in der Natur habe ich anfangs als Interesse betrachtet, dass außen vor bleibt. Die in der Fortbildung gelehrten pädagogischen Ansätze fand ich interessant und habe sie sozusagen an mir selbst angewandt, aber dort nicht meine Zukunft gesehen. Zuerst.

Mit der Zeit ist in mir allerdings das Bedürfnis gewachsen, nicht nur mein Wissen, sondern auch meine Begeisterung und Leidenschaft für die Natur mit anderen zu teilen. Ich finde, einige Menschen könnten viel mehr von der Ruhe und der Gelassenheit und sicheren Geborgenheit brauchen, welche die Natur einem anbietet. Ich bin aber gleichermaßen auch keine Therapeutin.

Stattdessen habe ich Kinder und Jugendliche als wahnsinnig bereichernde Zielgruppe für natur- und wildnispädagogische Arbeit für mich entdeckt. In ihnen steckt oft noch die kindliche Neugier, etwas Entdecken und Erleben zu wollen; sie haben Fantasie, können sich Szenarien vorstellen, die für andere bereits aussichtslos erscheinen. Wenn ich sie dazu ermutigen kann, sich das zu bewahren, und ihnen gleichzeitig auch einen winzigen Anteil von meiner Faszination, von Dankbarkeit und Respekt gegenüber der Natur abgeben kann – dann habe ich alles erreicht. Während ich die Ausbildung zur Naturmentorin bei Wildniswind angefangen habe, um mir selbst damit etwas Gutes zu tun – so habe ich sie beendet, um anderen damit etwas weitergeben zu können. Das mache ich jetzt in natur- und erlebnispädagogischer Arbeit.

Denn eines habe ich in der pädagogischen Arbeit bisher gemerkt: Alles, was ich abgebe, bekomme ich zurück. Sowohl von den Schülerinnen und Schülern, als auch von der Natur; von ihr sogar oft Tausendfach. Für jeden neuen Aspekt, den ich entdecke oder glaube, endlich verstanden zu haben, tun sich neue Bereiche auf; mache ich neue Begegnungen, erlebe ich neue, nie gesehene Phänomene in der Natur. Je mehr ich mich ihr öffne, desto mehr lässt sie mich an ihrem Leben teilhaben. Das ist absolut erfüllend und etwas, für das ich sehr dankbar bin.

Jetzt geht’s erst richtig los

Ich möchte mich weiterbilden, vor allem in der Erlebnis-, aber auch der Waldpädagogik. Und um ehrlich zu sein: Ja, das ist alles ein bisschen gruselig. So ein Neuanfang. Denn immerhin bin ich „schon“ Anfang Dreißig. Meine „Karriere“ war bisher nicht überragend, und ich „müsste“ eigentlich „noch viel mehr“ in meinem ursprünglich gelernten Beruf machen, um irgendwann richtig was zu reißen. Aber sein wir mal ehrlich: Es ist an den ganzen Anführungszeichen zu erkennen, dass ich so einen Lebensweg für mich nicht sehe. Auch, wenn ich jetzt neue Pfade betrete, heißt es nicht, dass ich alte vollends verlasse; das wird ja schon aus meiner Profilseite deutlich. Ich finde, es ist nie zu spät, sein Leben erfüllender, bunter und nach vorn gerichteter zu gestalten.

Es gibt so viel zu Sehen, zu Lernen und zu Erleben, dass ich das nicht einfach links liegen lassen will. Potenzial für Wachstum. Und im besten Fall nehme ich noch den einen oder anderen mit auf meinem Weg durch die Natur. Womit wir wieder bei der Frage wären… kommst Du mit mir nach draußen? 🙂